Ilka Raupach

Katalog zur Ausstellung "Jardim"


21x21 cm, 60 Seiten, Softcover
10,- €

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Ilka Raupach "Jardim"

In der Ausstellung mit dem Titel „Jardim“ in der Kunstgalerie im Alten Rathaus Fürstenwalde nimmt uns die Caputher Bildhauerin Ilka Raupach mit auf eine Entdeckungsreise in den tropischen Regenwald in Brasilien.

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Die Künstlerin hatte das Vergnügen, zeitweise in einer Forschungsstation im Amazonas-Gebiet Tiere, Pflanzen und Menschen kennenzulernen, die für weite Bevölkerungsteile der Inbegriff von Exotik und unberührter Natur sind. Allseits bekannt ist sicher das Determinativkompositum „Lebensader“, das sich aus „Leben“ und „Ader“ zusammensetzt. Wir Menschen tragen beispielsweise diese „Lebensadern“ als Venen und Arterien in unseren Körpern, die das für uns lebenswichtige Blut transportieren. Auch Pflanzen besitzen solche saftführenden Kanäle, um überlebensfähig zu sein. Sollen ganze Landstriche Leben enthalten, benötigen auch diese Regionen ein flächendeckendes Gezweig als wasserspeichernde Kompensationen. Ilka Raupach lernte auf ihrer Reise das Existenzpotential „Amazonas“ kennen. Dass gerade dieser Fluss das Leben transportiert, sollte auch ausschlaggebend für ihre künstlerische Auseinandersetzung werden. Die Vielzahl unterschiedlicher Samen und Körner, die vom Flusslauf verteilt, restrukturiert und letztlich wieder neugeordnet angeschwemmt werden, treten metaphorisch eine Reise an, die ungewiss lokalisiert werden kann sowie verborgen und intim ist. Am Ende dieser Reise tritt neues Leben in Erscheinung. Aus einer harten Schale – an einem neuen Ort. Ein geheimnisvolles Karussell an Formen und Strukturen, das gebündelt in ihrer Variabilität eine entscheidende Inspiration für Ilkas Raupachs Arbeit wurde. Gewissermaßen konstruiert die Bildhauerin eine künstliche Biodiversität, die sich aus der natürlichen Formgebung heraus legitimiert und sich durch die kreative Umsetzung behauptet, ohne dabei die Natur zu dokumentieren oder gar zu kopieren. Das griechische Wort „bios“ und das aus dem Lateinischen stammende Wort „diversitas“ bilden dabei in ihren Skulpturen eine schöpferische Koalition.

Wie passt aber der Ausstellungstitel „Jardim“, zu Deutsch „Garten“, in unsere Vorstellung von Unberührtheit und Wildnis? Ein Garten ist eine künstlich angelegte Fläche, die oft von Struktur und Ordnung geprägt ist. Ein Bild von undurchdringlichem Regenwald, mit einer Fülle von wirren und kunterbunten Pflanzenverschlingungen, passt nicht dazu. Unweigerlich rückt eine andere Künstlerin in unser Gedächtnis, die zeitweise im südamerikanischen Wald versuchte, zoologische und botanische Geheimnisse zu entschlüsseln – Maria Sibylla Merian. Während sich die Umweltfaktoren und die zum Teil schwierigen Einflüsse beim künstlerischen und naturforschenden Arbeiten gleichen, sind sowohl die künstlerischen Ambitionen als auch Herangehensweisen der beiden Künstlerinnen sehr unterschiedlich. Ilka Raupach nutzt die Eindrücke aus Flora und Fauna, um eine autonome Formenvielfalt hervorzubringen, ohne ein Ebenbild zu visualisieren. Merian dokumentierte hingegen die gesichteten Pflanzen und Tiere, ohne sie künstlerisch zu betonen. Auffällig ist aber, dass Merian nicht die „unbekannten Dschungelpflanzen“, sondern vordergründig Flora beschrieb, die von der indigenen Bevölkerung kultiviert war und wertvolle Nutzpflanzen darstellten.[1] Eine Vorstellung, die einem „Jardim“ nun schon näherkommt. Neueste Forschungen auf dem Gebiet der Anthropologie und Archäologie zeigen auf, dass das Amazonasbecken auch schon lange vor Merians Reise weitaus dichter besiedelt war, als lange Zeit geglaubt wurde.[2] Die präkolumbianische Zivilisation legte demnach zwischen 1200 und 1500 n. Chr. feste Siedlungen im Amazonasgebiet an, die teilweise vernetzt waren und große Gärten als Entwicklungsgrundlage nutzten. Ilka Raupach lernte auf ihrer Reise nach Brasilien diese Studien kennen und entwickelte davon inspiriert ihre Vorstellung eines großen Gartens. Die von ihr gefundenen Samenkörner, die nach Formen geordnet und nach Größe sortiert wurden, bilden die Grundlage für eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Artenvielfalt des Amazonas und dem noch kaum erforschten, weiten Spektrum indigener Landschaftsnutzung und ihrer präkolonialen Besiedlungsgeschichte.

Christian Köckeritz
(Leiter Kunstgalerie Altes Rathaus Fürstenwalde)


 

[1] Vgl. Merian, Sibylla Maria: Metamorphosis Insectorum Surinamensium, Amsterdam 1705.

Digitalisiert und bereitgestellt von der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: https://gdz.sub.uni-goettingen.de/id/PPN477653782?tify=%7B%22pages%22%3A%5B11%5D%2C%22pan%22%3A%7B%22x%22%3A0.494%2C%22y%22%3A0.661%7D%2C%22view%22%3A%22info%22%2C%22zoom%22%3A0.392%7D (aufgerufen 06.05.2023, 15:00 Uhr)

Vgl. Kat. Maria Sibylla Merian 1647-1717. Künstlerin und Naturforscherin, Ausstellung Historisches Museum Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1997.

[2] Vgl. Iriarte, José et al.: Pre-Columbian earth-builders settled along the
entire southern rim of the Amazon, In: NATURE COMMUNICATIONS, 9:1125, 2018.

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